Predigten von Dr. Helmut Karl Ulshöfer, Pfarrer

Dreiminütige Radio-Ansprachen

 

5 Ansprachen über Graffiti-Sprüche

Bleib im Land und wehr dich täglich!

Simon & Garfunkel singen in ihrem Folk-Klassiker "Sounds of Silence" etwas Merkwürdiges: An den Wänden der Untergrundbahnen könne man die Worte von Propheten lesen. Merkwürdig! Wahre Worte, Hilfreiche, nachdenkenswerte Sätze sollen in den Graffiti- Wand-Malereien  zu finden sein. Ich fand das merk-würdig und so soll es diese Woche in meinen Beiträgen um fünf solche merkwürdige Sätze gehen.

Der erste: Bleib im Land und wehr dich täglich! Als ich den las, fing ich an, im Urlaub über den Urlaub nachzudenken. Bleib' im Land, das haben wir dieses Jahr gemacht. Nicht irgendwie bewusst, gezielt oder aus Protest gegen irgendwelche Zwänge, nein, es ist eben so geworden. Und es war super! Ein paar Tage Zelten in der Pfalz, keine zwei Autostunden von zuhause weg, wunderschön an einem See. Nette Begegnungen, nicht durch Sprachbarrieren eingeschränkt. Nach der Rückkehr aus der Pfalz, Einzelunternehmungen von zuhause aus oder zuhause: Ein Oldies­-Konzert in Karlsruhe während der World Games, Zeit am Computer, Zeit für Spiele und Erzählen mit den Kindern, Zeit für meine Cds, der Baggersee nicht weit und .. und .. und total zufrieden und erholt fange ich meinen Dienst wieder an.
Aber schon während des Urlaubs und auch jetzt kommen mir diese komischen Gedanken: Was sag ich den Leuten, die mich in einigen Tagen wieder fragen werden: Wo waren Sie denn im Urlaub? Die fragen ja in aller Regel nicht nach dem WIE, sondern nach den WO.
Was antworte ich dann auf ihr WO? In der Pfalz, in Karlsruhe, auf der Terrasse, im Wohnzimmer??? Wie steh ich dann da?
Dass mir solche verklemmten Gedanken überhaupt kommen nach einem so schönen Urlaub ist ja schon komisch. Aber so bin ich halt und so sind andere auch, sonst gäbe es wohl den Spruch "Bleib im Land und wehr dich täglich" nicht. Und jetzt wehr ich mich. Wie ich das mache? Nun ich pflege die Erinnerungen: An die Gespräche und die Spiele mit den Zeltnachbarn, an das Konzert, an das Leuchten in den Augen meiner Kinder, an den Maulwurfshügel, der direkt neben uns aufgeworfen wurde, während wir am Ohmbachsee saßen. Daran werd ich mich bewusst erinnern. Und danken werde ich Gott, dass ich  über ganz Normales staunen, über Bekanntes mich wundern und im Nahen erholsame Weite spüren konnte. Mein Gott, war das schön!

 

Hast Du heute schon gelebt?

Hast Du heute schon gelebt? Um Graffiti-Malereien geht's diese Woche in "In aller Herrgottsfrühe". Hast du heute schon gelebt? Diese Schrift an der Wand hat mich doch sehr betroffen gemacht, denn ich las sie zu einer Zeit, als ich mehr gelebt wurde als dass ich lebte. Solche Zeiten kennen Sie auch: Echtes, erfülltes, bejahtes und vor Freude übersprudelndes Leben ist nur eine vage Erinnerung oder eine unbestimmte Hoffnung. Aber heute, hier und jetzt, wie soll ich denn leben, echt leben, von blassen Erinnerungen oder Hoffnungen, die aus dem Mangel geboren sind? Komischerweise kommt bei uns in der Kirche das Wort Leben meist bei Beerdigungen vor. Heute Nachmittag werde ich an  einem Grab wieder die Worte Christi zitieren: Ich lebe und Ihr sollt auch leben. Und das ist ja auch gut und richtig, denn dies verlässliche Versprechen Christi gilt ja nicht nur dem Verstorbenen, sondern auch denen, die jetzt so traurig am Grab stehen.

Hast Du HEUTE schon gelebt? Gerade jetzt, wo ich mich auf diesen Beitrag vorbereite, es ist Mittwochmorgen um 1/2 9 Uhr, trifft mich diese Frage wieder. Hab ich heute schon gelebt? Und heute, anders als vor ein paar Wochen, antworte ich ohne zu zögern: Ja, ich hab schon gelebt, echt gelebt. Und nicht nur das: Ich weiß sogar: Da kommen heute noch einige wirklich lebenswerte Stunden auf mich zu, obwohl die Beerdigung heute Nachmittag mich ziemlich belastet.
Ich hab HEUTE schon gelebt, denn ich habe etwas lange Verschüttetes wieder entdeckt: Seit ein paar Wochen stehe ich eine 3/4 Stunde früher auf als ich eigentlich müsste. Ich kann schon Ihr Stöhnen hören, aber ich bekomme auch etwas für diesen hohen Preis des frühen Aufstehens: Heute sahen diese 45 Minuten etwa so aus: 5 Minuten Autogenes Training, da werde ich so wunderbar entspannt. Das kann man lernen. Ca. 10 Minuten Meditation: Ein tolles Wort aus den Herrenhuter Losungen: Wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. Drei Lieblingssongs von der Platte hören und dann mit dem Hund um den Block. Danach  entspanntes Frühstück mit meiner Frau, doch das zählt ja schon nicht mehr zu einem Sonderprogramm, aber das Frühstück ist eben jetzt so wohltuend relaxed. Es ist gar nicht so schwierig, heute zu leben, echt zu leben. Denn mit so einem Tagesanfang bin ich einfach fitter,  eigene oder fremde Probleme mutig anzupacken oder sie -wenn nötig- zu ertragen. Es könnte auch für Sie einen Versuch wert sein.

 

Nieder mit der Schwerkraft, es lebe der Leichtsinn.

Um flotte, aber merk-würdige Sprüche geht es diese Woche. Kürzlich, es war noch vor dem Urlaub, las ich wieder einen, der mir gut gefallen hat: Nieder mit der Schwerkraft, es lebe der Leichtsinn. Da gehen bei manchen unter Ihnen vielleicht die warnenden Zeigefinger hoch. Was soll in einem kirchlichen Beitrag eine Ermutigung zu Leichtsinn. Gibt's von dem nicht eh zuviel? Ach, ich meine von dieser "unbeschreiblichen Leichtigkeit des Seins" kann es gar nicht genug geben. Versuchen Sie sich doch mal zu erinnern, was in den paar Stunden absoluten Glücks in IHREM Leben das Besondere war. Hatten diese kostbaren Momente nicht etwas von einer unbeschreiblichen Leichtigkeit an sich? Das Gefühl aufgehoben zu sein? So richtig selbstvergessen?

Aufgehoben und selbstvergessen, das macht für mich echten Leichtsinn aus. Aufgehoben - zu leben in einem tragfähigen Netz von Menschen, die Ja zu mir sagen. Aufgehoben - vertrauen dem Jesus, der mir glaubhaft versichert, dass der Gott, der die Lilien kleidet und die Spatzen füttert auch mich nicht vergisst. Wie bitte ? Das sei  leichtsinniges Gerede? Ich solle auch an die Verhungernden in der 3. Welt denken?
Aber was nützt es, wenn ich an die denke, nur um Vertrauen in den fürsorglichen Gott in mir kaputtzumachen? Eigenartigerweise öffne ich meinen Geldbeutel doch leichter, wenn ich leichtsinniger, vertrauensvoller bin und mich aufgehoben fühle. Und das hilft den "Hilfe zur Selbsthilfe - Projekten" von Brot für die Welt mehr als mein bloßes schein-theologisches Denken an die Hungernden. Aufgehoben in tragenden Beziehungen und bleibend in einem entspannten Glauben kann man auch andere aufheben und es ihnen leichter machen.
Und selbstvergessen! In einer Aufgabe aufgehen, spielerisch und unverkrampft. Etwas haben, das so gewichtig ist, dass alles andere un(ge)wichtig wird, dass man über sich selbst und seine Verklemmtheiten und Wehwehchen lachen lernt. Nicht alle Ziele oder Aufgaben führen in diese Leichtigkeit des Seins. Aber wer sie wirklich sucht, wer von der eigenen Gewichtigkeit weg will, der wird sie auch finden. Darf ich das mal so leichtsinnig unkonkret stehen lassen?

 

Lieber von Picasso gemalt, als vom Schicksal gezeichnet.

Diese Woche "In aller Herrgottsfrühe" merkwürdige Graffiti-Sprüche. Heute: Lieber von Picasso gemalt, als vom Schicksal gezeichnet.

Also, von Picasso bin ich zwar noch nie gemalt worden, aber es gibt da  Bilder von mir, die machen mich echt wertvoll. Keine Bilder auf Papier, Leinwand oder Fotos. Bilder z. B. im Kopf meiner Frau. Wie die mich manchmal sieht, ist so unglaublich wie wohltuend. Bin ich das wirklich?
Aber ist nicht das wirklich, was etwas in uns wirkt? Und solche erstaunlich positiven BIlder, die sich Liebende voneinander machen, die wirken doch etwas. Und wer wäre schon so grausam, den liebenden Bildermaler auf die lange Nase oder die krummen Beine der Angebeteten hinzuweisen. Das macht keiner, weil sich ja jeder wünscht, dass auch von ihm in irgendjemand solche moving pictures, solche bewegten und bewegenden Bilder lebendig  sind. Es sind belebende Gegenbilder, die der so genannten Realität widersprechen.
Denn wie sollte man ohne Gegenbilder leben können? Das so genannte Schicksal und eine Reihe weniger wohlmeinender Menschen zeichnen einen ja auch. Und wem glaub ich sein Bild von mir, denen die mich nicht leiden können, oder denen die mich gut finden? Ich hab ja die Wahl.
Welchem Bild ich glaube, dem werde ich ja tatsächlich ähnlicher. Das kennt doch jeder: Komme ich in eine Gruppe Menschen, die mich für verklemmt halten, werde ich dort tatsächlich verklemmter. Und bin ich unter Leuten, die mich Spitze finden, dann fühl ich mich so wohl, dass ich tatsächlich ein angenehmerer Zeitgenosse werde. Und welche Bilder pflege ich dann in mir, wenn ich wieder von solchen Begegnungen zurück bin?
Ich kenne einen fantastischen Bilderpfleger, der die bewegenden, aufbauenden Bilder in mir aufmöbelt: Es ist Gott, aber nicht irgendeiner, auch nicht der quälende Gott meiner Kindheit und Jugend.
Es ist der Gott, von dem es heißt, dass er mich nach seinem Bild geschaffen hat, der Gott, der das Beste, nämlich sich selbst in mich hineinsieht, so wie Jesus sich in Gescheiterten und Irrenden immer ein Gegenbild gemacht hat. Und nach diesem Bild ist er mit ihnen umgegangen und schwupp, schon wurden sie anders. Und so geht auch mit Ihnen und mir um, das können Sie mir, aber vor allem ihm glauben.

 

Machs wie Gott, werde Mensch.

Merkwürdige Sprüche, Graffiti-Malereien unserer Zeit, waren mein Thema diese Woche. Die haben so etwas wohltuend entspannt menschliches an sich: Bleib im Land und wehr dich täglich; Hast Du heute schon gelebt?; Lieber von Picasso gemalt als vom Schicksal gezeichnet und : Nieder mir der Schwerkraft, es lebe der Leichtsinn. Und heute einen, bei dem es um eben das geht, um echte Menschlichkeit. Machs wie Gott, werde Mensch.

Es ist schon eigenartig: Mittelpunkt im christlichen Glauben ist das Bekenntnis, dass Gott Mensch wurde. Aber die meisten von denen, die diesen Glauben ernst nehmen wollen, zieht’s in die andere Richtung, die mühen sich krampfhaft, zu werden wie Gott. Gott kam in Christus nach unten, und die, die sich nach ihm nennen, die Christen, wollen nach oben. Da stimmt doch etwas nicht, oder?
Daher kommt es wohl auch, dass ich viele treffe, die Jesus unheimlich gut finden. Aber kommt man auf die Kirche zu sprechen, dann bekommt man Aggressionen zu spüren, Vorwürfe zu hören oder -und das ist für mich immer das Schlimmste- es begegnet einem gähnende Langeweile, die Reaktion auf etwas absolut Belangloses. Denn etwas echt Menschliches ist doch so viel befreiender als etwas anmaßend, verlogen Göttliches.
Aber je mehr ich mich aufrege über so viel Besser-sein- und Besser-wissen-Wollen, desto verlogener wird's ja auch mit mir. Denn am meisten regt man sich ja bekanntlich darüber auf, wo man selbst so seine Schwachstellen hat.
Also versuche ich mich in letzter Zeit ganz gezielt und bewusst auf diese faszinierende Person, diesen Jesus von Nazaret zu konzentrieren. Das tut mir unheimlich gut.
Da sitzt Jesus im Hause eines frommen Pharisäers. Eine Frau mit einem schlechten Ruf, es war wohl eine Prostituierte, kommt ungeladen herein
und fängt an Jesus mit Tränen, teurer Creme, eigentlich mit Liebe zu überschütten. Und anders als unsers nach oben strebender ‚Freund, der Pharisäer, stört sich der so  sympathisch menschliche Jesus nicht daran. Für ihn sind das Zeichen eines Neuanfangs bei dem leichten Mädchen.  Das glaubt er, und so wird es. Jesus vergibt sich nichts durch seine Menschlichkeit, aber andern vergibt er alles. Mach's wie Gott, werde Mensch.

 

 

Tier-Predigten

Legehennen predigen

Von Franz von Assisi erzählt man, dass er den Tieren gepredigt hat. Bei mir geht das immer andersherum: Tiere haben mir etwas zu sagen, Tiere haben mir schon Predigten gehalten, die mich mal nachdenklich, mal froh gemacht haben. Davon möchte ich Ihnen in dieser Woche erzählen

"Billige Legehennen" versprach das Inserat in der Tageszeitung. Da war meine Mutter nicht mehr zu halten: "Da müssen wir hin" und ich sollte der Chauffeur sein. Wir fanden am angegebenen Ort eine so genannte "Eier­fabrik" vor. Batteriehühner fristeten dort ein beklagenswertes Dasein. Enge Käfige, nahezu bewegungsunfähig, kein Grün.
Wir kauften ein Dutzend und kamen uns wie Befreier vor. Auf der Heimfahrt malte ich mir den Freudentanz der Befreiten auf der grüner Wiese aus. Was dann allerdings auf der grünen Wiese geschah, war ein Schock für die Befreier: Die Hennen wussten mit ihrer Freiheit überhaupt nichts anzufangen. Da hockten sie, und sie blieben hocken, Kein Freudentanz, kein neugieriges Erkunden der großen Wiese, nichts, nichts als das verhockte Dasein unter unsichtbaren Käfigen.
Vielleicht denken Sie jetzt: So geht's mir manchmal auch. Mein Leben ist weithin ein. verhocktes Dasein unter unsichtbaren Käfigen. Und ich frage mich mit Ihnen: Warum eigentlich? Und was höre ich aus der Predigt der Hühner? Auch vorhandene Freiheit will geglaubt werden, bevor sie wirklich wird, bevor sie etwas wirken kann. Paulus, dessen Leben alle Anzeichen von wahrer Freiheit trug, schwärmte von der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Daran glaubte er intensiv, dass er selbst hinter Gittern die grüne Wiese der Kinder Gottes erlebte. Da hat uns Gott auf die grüne Wiese gesetzt, durch die Vergebung in Jesus Christus von den Gittern des Gestern befreit, in eine Weite, die aller Enge, aller Angst wehrt, und wir bleiben verhockt hocken?
Übrigens: Die Hühner haben ihre Freiheit bald angenommen und erprobt

 

Pferde predigen

Als vor ein paar Wochen auch im Fernsehen der Film "Gandhi" gezeigt wurde, freute ich mich wieder einmal über Tiere, die mir eine Predigt hielten. Diesmal waren es Pferde. Anhänger Gandhis demonstrierten gewaltlos vor einem Werk, in. dem Inder ungerecht behandelt wurden. Und nun kam der Befehl, die Demonstranten nieder zu reiten. Man muss sich folgendes Bild vorstellen: Auf einen langen Zug von protestierenden Indern galoppieren etwa 10 oder 15 Pferde zu. Ihre Reiter treiben sie unbarmherzig an. In Nahaufnahmen sieht man die wilde Entschlossenheit der Reiter und die panische Angst der Inder. Da werfen sich die Demonstrierenden flach auf den Boden. Der Zuschauer befürchtet das Schlimmste. Man möchte sich die Augen zuhalten, um das geahnte Blutbad nicht mit ansehen zu müssen.

Aber nichts dergleichen geschah. Nicht, weil die berittenen Polizisten es schließlich doch nicht übers Herz gebracht hätten, die Wehrlosen nieder zureiten. Nein, es kam zu keinem Blutbad, weil die PFERDE sich verweigerten. Nicht EIN Pferd trat auf die am Boden Liegenden, so sehr die Reiter sie auch schlugen und sie antrieben.
Da saß ich nun vor meinem Fernseher und dachte: Da sagt man manchmal von einem besonders miesen Menschen: Der ist wie ein Tier. Welch eine unfaire Beleidigung! Für das TIER! Würden doch mehr Menschen diese Hemmschwelle pflegen und stärken, und nicht auf denen herumtrampeln, die eh schon am Boden sind.
Und ich erinnerte mich auch an das Verhalten Christi, das mir nicht nur Vorbild sein möchte, sondern das mir auch immer sagt: So ist Gott. Eine Frau am Boden, beim Ehebruch ertappt. Hochmoralische Steinewerfer um sie herum. Und Christus? Wird er sie niedermachen mit Vorwürfen und einer Moralpredigt? „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" - so nimmt er die Frau am Boden in Schutz. So ist Gott. Und weil ich selber manchmal am Boden bin, glaube ich an diesen Gott. gern - tierisch gern, würden meine Konfirmanden sagen.

 

Der Argusfasan predigt

Haben Sie schon einmal von den Problemen des männlichen Argusfasans gehört? Also, der hat recht menschliche Probleme, meint der Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Um Chancen zu haben, muss er imponieren. Bei der Balz muss er mit seinen Schwungfedern das Weibchen beeindrucken. Wie der Pfau schlägt er sie dazu zu einem Rad. Und die Qual der Partnerwahl liegt nun beim Weibchen. Ihr imponieren natürlich die größten und schönsten Schwungfedern. Intraspezifische Selektion nennen das die Fachleute mit einem schrecklichen Fremdwort. Dieses Imponier-Wettrennen innerhalb der gleichen Art wirkt sich auf das Erbgut der männlichen Argusfasane aus. Immer länger und länger werden die Schwungfedern, hat Lorenz festgestellt.

Na und, ist doch kein Problem, möchte man meinen. Leider hat die Sache gleich zwei Haken. Zum einen wird der Imponierdruck nicht geringer, denn die Schwingen werden ja auch bei den Konkurrenten imponierender. Aber das Schlimmste ist: die Schwungfedern sind inzwischen so lang, dass der arme Kerl kaum noch fliegen kann. Er hat zwar Schwungfedern, aber er hat seinen Schwung verloren.
Eine Tragödie, eine allzu menschliche: Mit dem Imponiergehabe geht der Schwung verloren. Die Statussymbole werden größer und die Freude am Leben kleiner. Und so ein kleiner, in sich verkrümmter Mensch, mit kleinlichen Zielen, hat zwar ein großes Einkommen und ein großes Haus, klettert kleinlaut auf einen Baum. Imponieren hat er wollen, der Zachäus, aber er hat seinen Schwung verloren, Doch der kommt wieder, weil da einer kommt, dem er imponiert. Gehe ich damit zu weit? Hat der fiese Betrüger den Gottessohn beeindruckt? "Auch er, Zachäus, ist ein Sohn Abrahams"  auch ihm gilt Gottes Zuneigung, sagt Jesus. Er ist nicht, was ihr vor Augen seht, sondern was Gott in ihn hineinsieht, und das ist imponierend. So sucht Zachäus nicht mehr krampfhaft anzukommen, sondern weiß sich wohltuend angenommen. Das bringt Schwung in sein Leben - mitreißenden Schwung.

 

 

Esel und Kamel predigen

Bei einem deftigen Krach hagelt es oft Beleidigungen, die den Beschimpften mit gewissen Tieren vergleichen. Esel und Kamel finden sich dabei unter den Top 10 der deutschsprachigen Hitparade der Beleidigungen. Warum das wohl so ist? Haben Esel und Kamel etwas gemeinsam?

Zwei junge Leute wollten heiraten und wählten als Trauspruch: Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Und nun suchte ich in der Vorbereitung auf die Traupredigt Bilder und Vergleiche für Lastträger. Kamel und Esel kamen mir unter anderem in den Sinn. Sollten die beiden Tiere vielleicht nur deshalb als Schimpf­namen herhalten müssen, weil sie beide Lasten tragen?
"Was bist du doch für ein Esel, dass Du es bei der noch aushältst" - "Du Kamel, wieso erträgst du den überhaupt noch?" So oder ähnlich. klingen oft die scheinbar wohlmeinenden Kommentare von Freunden, wenn zwei, die es miteinander wagten, in die Krise geraten. Sie verraten dabei etwas von ihrer Lebensphilosophie: Kamel und Esel sind schon dumm, wenn sie sich Lasten aufzwingen lassen. Aber noch dümmer ist, wer freiwillig trägt und erträgt, meinen sie.
Dabei könnte keiner von uns leben, ohne das Lasttragen anderer. Keiner würde die ersten Wochen seines Lebens überstehen, ohne solche, die bereit sind, Belastungen auf sich zu nehmen. Keiner könnte weiterleben, ohne wenigstens ab und zu einen Menschen zu haben, der sich mit-tragend unter seine Last stellt. Wie kann also Lasten auf sich nehmen etwas Dummes sein, wenn jeder unter uns davon lebt? Oh nein, wenn wir heute freiwillig Lasten auf uns nehmen für andere, dann sind wir nicht dumm. Aber wir sind in bester Gesellschaft, wenn man uns deswegen für Esel. hält. Denn an einer Hauswand in Rom hat man den Gekreuzigten mit einem Eselskopf dargestellt gefunden. Also, wenn man den für einen Esel hält, dann bin ich auch gern einer.

 

Wellensittich Willy predigt

Von Tieren und ihren Predigten habe ich Ihnen in dieser Woche erzählt:

Von den Hühnern, die mit ihrer Freiheit nichts anzufangen wussten, von den Pferden, die sich weigerten, Menschen am Boden zu verletzen, vom Argusfasan, der durch sein Imponiergehabe  seinen Schwung verliert und von Kamel und Esel, die man für dumm hält, weil sie Lasten tragen. Das waren alles wortlose Predigten, die Tiere mir hielten. Sie werden’s mir kaum glauben, aber erst vor ein paar Wochen predigte mir Willy, unser Wellensittich in perfektem Deutsch. Er verfuhr dabei nach dem Luther’schen Grundsatz: Tritt, frisch auf, tu's Maul auf, hör bald auf.
Es war irgendwann zwischen zehn und elf Uhr abends. Gerade war ich von einer mich erregenden Begegnung heimgekommen, ich hatte gemeint, mir stünde etwas zu, was mir aber verweigert wurde. Ich war frustriert. Niemand im Wohnzimmer. Was bleibt einem anders als die Glotze, um sich abzulenken. Und wie ich missmutig nach der Fernbedienung greife, tönt es laut und deutlich aus dem Käfig: Du bischscht dumm!
Das hatte er von meiner Tochter gelernt, die es ihm in liebevollen Frozzeleien beigebracht hatte. Du bischt dumm! ich zuckte zusammen, fing an, unbändig zu lachen um schließlich nachzudenken. "Wenn er Recht hat, hat er Recht, unser Willy." Oder ist's nicht ausgesprochen dumm, sich bei Problemen, die man überdenken sollte, ablenken zu lassen. Du bischt dumm. Recht hat er.
Aber am meisten ärgerte ich mich über eine Art von Dummheit, die ich --meine ich- mit den meisten Zeitgenossen teile: Ich habe alles was ich zu einem glücklichen Leben brauche, doch ich stürze mich verbissen auf das eine, was mir verweigert wird. Das muss ich haben, erst dann meine ich glücklich sein zu können. Wie war das doch mit Adam und Eva: Die hatten alles, das Paradies, aber da war der eine verbotene Baum. Dessen Früchte mussten es sein. Und so verloren sie das Paradies. Das ist meine Geschichte. Daran hat mich Willy erinnert. - Kein happy end heute'? Ach, vielleicht fällt der "Happy-End-ZWANG" in der Kirche auch unter Willys Urteil.

Dr. Helmut Karl Ulshöfer    Utopien    Grünkern-Country